Kurz vor Mitternacht – ein Notruf. Am Telefon eine besorgte Patientenbesitzerin: Sie sei gerade aus dem Kurzurlaub zurück…Kaninchen fühle sich schlapp an…frisst keine Leckerlis…hat vermutlich nicht viel gefressen…verhält sich viel zu lieb. „Viel zu lieb?“, fragte ich irritiert. „Naja – mein Kleiner ist eigentlich nicht sehr menschenfreundlich. Lässt sich üblicherweise nicht streicheln und knurrt sogar, wenn ich mein anderes Kaninchen anfassen will. Nun schimpft er überhaupt nicht und lässt sich streicheln, ohne dass er meine Hand wegschubst. Er muss krank sein.“

Bei Fressunlust von Kaninchen sollte man nie lange zögern, bevor man zum Tierarzt geht. „Gut – bringen sie ihn sofort zu mir“, entschied ich.

Sobald das Kaninchen auf meinem Behandlungstisch saß, begann ich die klinische Untersuchung: Der Magen fühlte sich etwas aufgedunsen an. Auf dem aufgenommenen Röntgenbild war erkennbar, dass das Kaninchen nur Flüssigkeit aber keine feste Nahrung zu sich genommen hatte. Bei der Kontrolle des Gewichts zeigte sich, dass es in der letzten Zeit 300 Gramm (von ursprünglich 2,4 kg) abgenommen hatte.

Infusion

Infusion

Um die akuten Schmerzen meines kleinen Patienten zu lindern, verabreichte ich ihm zunächst eine Infusion und Schmerzmittel. Anschließend wurde er stationär aufgenommen.

Am nächsten Morgen legte ich das Kaninchen in Inhalationsnarkose. Anschließend öffnete ich das Maul mit einem Maul- und einem Wangenspreizer. Die Unterkieferbackenzähne zeigten eine deutliche Spitzenbildung in Richtung Zunge und hatten dort bereits zu massiven Schäden der Schleimhaut geführt. Sorgfältig kürzte ich die Zähne mit einer Fräse. Anschließend glättete ich die Kanten mit einer Raspel. Die Verletzungen der Zunge wurden kürettiert (ausgeschabt) und mit einem Medikament touchiert.

Nach dem Aufwachen entließ ich meinen Patienten mit den zu seiner Besitzerin gerichteten Worten: „Sofern sich sein Zustand nicht bessert – melden Sie sich bitte wieder!“

Tatsächlich rief die Patientenbesitzerin zwei Tage später an – um sich zu bedanken. Es sei wieder alles beim Alten. Ihr kleiner Racker sei mürrisch und muffelig wie zuvor und fresse wieder mit Elan. Da hatte sich mein nächtlicher Einsatz doch gelohnt!

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